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Wanderer in der Wüste – ein Gleichnis

Gleichnis von der Wüstendurchquerung bis zur Großen Stadt 

Zwei Wanderer gingen mit langsamen Schritten durch eine weite Wüste, ihre Füße schmerzten vom heißen Sand. Sie gingen einer fernen Stadt entgegen, und nur die Hoffnung, an ihr Ziel zu gelangen, belebte sie auf ihrem schweren Wege; denn das Brot und das Wasser gingen allmählich zur Neige. Der jüngere der beiden begann zu ermatten und bat seinen Gefährten, die Reise alleine fortzusetzen, weil ihn die Kräfte verließen.

Der bejahrte Wanderer versuchte dem jungen neuen Mut einzuflößen, indem er ihm sagte, daß sie vielleicht schon bald auf eine Oase stoßen würden, wo sie die verlorenen Kräfte zurückgewinnen würden; aber jener faßte keinen neuen Mut.

Der Ältere gedachte ihn nicht in jener Einöde im Stich zu lassen, und obwohl auch er müde war, lud er den ermatteten Gefährten auf seinen Rücken und setzte die Wanderung mühsam fort.

Nachdem der Jüngling ausgeruht war und er die Mühsal erwog, die er dem bereitete, der ihn auf seinen Schultern trug, löste er sich von seinem Hals, nahm ihn bei der Hand, und so setzten sie ihren Weg fort.

Unermeßlicher Glaube beseelte das Herz des greisen Wanderers, welcher ihm Kräfte gab, seine Müdigkeit zu überwinden.

Wie er es erahnt hatte, tauchte am Horizont eine Oase auf, unter deren Schatten sie die Kühle einer Quelle erwartete. Schließlich gelangten sie zu ihr und tranken von jenem erquickenden Wasser, bis sie sich sattgetrunken hatten.

Sie fielen in einen erholsamen Schlaf, und beim Erwachen fühlten sie, daß die Müdigkeit verschwunden war, auch hatten sie weder Hunger noch Durst. Sie fühlten Frieden in ihren Herzen und die Kraft, zu der Stadt zu gelangen, die sie suchten.

Sie wollten jenen Ort eigentlich nicht verlassen, doch die Reise mußte fortgesetzt werden. Sie füllten ihre Gefäße mit jenem kristallklaren und reinen Wasser und nahmen ihren Weg wieder auf.

Der betagte Wanderer, der die Stütze des jungen gewesen war, sagte: „Wir wollen von dem Wasser, das wir bei uns tragen, nur mit Maßen Gebrauch machen. Es ist möglich, daß wir unterwegs einige Pilger treffen, die, von Erschöpfung überwältigt, am Verdursten oder krank sind, und es wird dann notwendig sein, ihnen das anzubieten, was wir bei uns tragen.“

Der junge Mann widersprach und sagte, daß es unvernünftig wäre, von dem zu geben, was vielleicht nicht einmal für sie selbst ausreichen würde; daß sie es in so einem Falle zu dem Preis verkaufen könnten, den sie wollten, da es sie so große Anstrengung gekostet hatte, jenes kostbare Element zu erlangen.

Der Alte war mit dieser Antwort nicht zufrieden und erwiderte ihm, daß wenn sie Frieden in ihrer Seele haben wollten, sie das Wasser mit den Notleidenden teilen müßten.

Verdrossen sagte der junge Mann, daß er es vorzöge, das Wasser seines Gefäßes allein zu verbrauchen, ehe er es mit jemandem teile, den man unterwegs treffen würde.

Wieder ging die Ahnung des Alten in Erfüllung, denn vor sich sahen sie eine aus Männern, Frauen und Kindern bestehende Karawane, die, in der Wüste verirrt, dem Untergang nahe war.

Eilig ging der gute Alte auf jene Leute zu und gab ihnen zu trinken. Die Ermatteten fühlten sich sogleich gestärkt, die Kranken öffneten ihre Augen, um jenem Reisenden zu danken, und die Kinder hörten auf, vor Durst zu weinen. Die Karawane erhob sich und setzte ihre Reise fort.

Friede war im Herzen des edelmütigen Wanderers, während der andere, als er sein Gefäß leer sah, besorgt zu dem Gefährten sagte, daß sie umkehren und die Quelle aufsuchen sollten, um das Wasser, das sie verbraucht hatten, zu ersetzen.

„Wir dürfen nicht zurückgehen“, sagte der gute Wandersmann, „wenn wir Glauben haben, werden wir weiter vorne auf neue Oasen stoßen.“

Doch der Jüngling zweifelte, hatte Furcht und zog es vor, auf der Stelle von seinem Gefährten Abschied zu nehmen, um im Verlangen nach der Quelle zurückzugehen. Sie, die Leidensgefährten gewesen waren, trennten sich. Während der eine auf dem Pfade weiterging, vom Glauben an sein Ziel beseelt, lief der andere bei dem Gedanken, er könnte in der Wüste umkommen, mit der Zwangsvorstellung des Todes in seinem Herzen der Quelle zu.

Schließlich kam er keuchend und erschöpft an. Aber zufrieden trank er sich satt, vergaß den Gefährten, den er alleine gehen ließ, und ebenso auch die Stadt, auf die er verzichtet hatte, und beschloß, fortan in der Wüste zu leben.

Es dauerte nicht lange, da zog in der Nähe eine Karawane vorüber, die aus erschöpften und durstigen Männern und Frauen bestand. Sie kamen begierig näher, um von dem Wasser jener Quelle zu trinken.

Doch plötzlich sahen sie einen Mann auftauchen, der ihnen zu trinken und zu rasten verbot, wenn sie ihm jene Wohltaten nicht bezahlten. Es war der junge Wanderer, der sich der Oase bemächtigt und sich zum Herrn der Wüste gemacht hatte.

Jene Menschen hörten ihn traurig an, denn sie waren arm und konnten jenen kostbaren Schatz, der ihren Durst löschen würde, nicht kaufen. Schließlich trennten sie sich von dem wenigen, das sie bei sich trugen, kauften ein wenig Wasser, um den brennenden Durst zu lindern, und setzten ihren Weg fort.

Bald wandelte sich jener Mensch vom Herrn zum König, denn nicht immer waren es Arme, die dort durchzogen; es gab auch Mächtige, die ein Vermögen für ein Glas Wasser geben konnten.

Dieser Mann erinnerte sich nicht mehr an die Stadt jenseits der Wüste, und noch weniger an den brüderlichen Gefährten, der ihn auf seinen Schultern getragen und ihn davor bewahrt hatte, in jener Einöde umzukommen.

Eines Tages sah er eine Karawane kommen, die zielsicher der großen Stadt zustrebte. Doch mit Staunen beobachtete er, daß jene Männer, Frauen und Kinder voll Kraft und Freude ausschritten und dabei ein Loblied anstimmten.

Der Mann verstand nicht, was er erblickte, und seine Überraschung wurde noch größer, als er sah, daß an der Spitze der Karawane jener voranging, welcher sein Reisegefährte gewesen war.

Die Karawane hielt vor der Oase an, während die beiden Männer einander gegenüberstanden und sich erstaunt betrachteten. Endlich fragte der Oasenbewohner den, der sein Gefährte gewesen war: „Sage mir, wie ist es möglich, daß es Menschen gibt, die diese Wüste durchqueren, ohne Durst zu fühlen oder Müdigkeit zu verspüren?“

Er tat dies, weil er in seinem Innern daran dachte, was von dem Tag an aus ihm würde, an dem niemand mehr herbeikommen würde, um ihn um Wasser oder Obdach zu bitten.

Der gute Wanderer sagte zu seinem Gefährten: „Ich gelangte zu der großen Stadt, doch nicht allein. Unterwegs traf ich Kranke, Dürstende, Verirrte, Erschöpfte, und ihnen allen gab ich neuen Mut durch den Glauben, der mich beseelt, und so gelangten wir von Oase zu Oase eines Tages vor die Tore der großen Stadt.

Dort wurde ich vor den Herrn jenes Reiches gerufen, der mir, als er sah, daß ich die Wüste kannte und Mitleid mit den Reisenden hatte, den Auftrag gab, zurückzukehren, um Führer und Berater der Reisenden bei der qualvollen Wüstendurchquerung zu sein.

Und hier siehst du mich, wie ich gerade eine weitere Karawane führe, die ich zu der großen Stadt bringen muß. – Und du? Was machst du hier?“ fragte er den, der in der Oase geblieben war. – Dieser schwieg beschämt.

Da sagte der gute Reisende zu ihm: „Ich weiß, daß du dir diese Oase angeeignet hast, daß du Wasser verkaufst und für den Schatten Geld verlangst. Diese Güter gehören dir nicht, sie wurden von einer göttlichen Macht in die Wüste gelegt, damit derjenige von ihnen Gebrauch mache, der sie benötigen würde.

Siehst du diese Menschenscharen? Sie bedürfen keiner Oase, weil sie weder Durst spüren noch müde werden. Es genügt, daß ich ihnen die Botschaft weitergebe, die ihnen der Herr der großen Stadt durch meine Vermittlung sendet, und schon machen sie sich auf und finden bei jedem Schritte neue Kraft dank dem hohen Ziel, das sie haben: jenes Reich zu erreichen.

Überlasse die Quelle den Dürstenden, damit sie bei ihr Erquickung finden, und jene ihren Durst löschen, die die Härten der Wüste erleiden.

Dein Stolz und Egoismus hat dich verblendet. Doch was hat es dir genützt, Herr dieser kleinen Oase zu sein, wenn du in dieser Einöde lebst und dich der Möglichkeit beraubt hast, die große Stadt kennenzulernen, der wir gemeinsam entgegengingen? Hast du jenes hohe Ziel bereits vergessen, das wir beide hatten?“

Als jener Mann den schweigend angehört hatte, der ein treuer und selbstloser Gefährte gewesen war, brach er in Tränen aus, weil er Reue fühlte wegen seiner Verfehlungen. Er riß sich die falschen Prunkgewänder vom Leibe und suchte den Ausgangspunkt auf, welcher dort war, wo die Wüste begann, um dem Weg zu folgen, der ihn zu der großen Stadt führen würde.

Doch nun ging er seinen Weg von einem neuen Lichte erleuchtet, dem des Glaubens und der Liebe zu seinen Mitmenschen.







Aus einem mexikanischen Offenbarungswerk.
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